Kleine Anfragen sind ein wichtiges Instrument zur Kontrolle der Regierung und zur Profilierung für Abgeordnete und Fraktionen. In Sachsen-Anhalt zeigt sich, analog zu anderen Landtagen und zum Bundestag, eine erhebliche Zunahme der Frageaktivität. In der 7. Wahlperiode haben die Kenia-Koalitionäre kleine Anfragen häufig genutzt, um Ministerien der Koalitionspartner kritisch zu befragen. Dies ist ungewöhnlich, da kleine Anfragen typischerweise ein Instrument der Opposition sind, aber angesichts der inhaltlichen Animositäten innerhalb der Kenia-Koalition wenig überraschend. Bei der Frageaktivität erweisen sich einige Abgeordnete als besonders aktiv. Die Anfragen der AfD heben sich in Bezug auf Themen, Inhalt und Ton deutlich von den anderen Fraktionen ab.
Kleine Anfragen sind ein wichtiger Bestandteil des parlamentarischen Alltags. Einzelne Abgeordnete wenden sich dabei mit konkreten Fragen an die Regierung, die laut Geschäftsordnung des Landtages von Sachsen-Anhalt “nach bestem Wissen unverzüglich und vollständig” antworten muss. Kleine Anfragen gelten daher als ein wichtiges Instrument zur parlamentarischen Kontrolle der Regierung. Dass Regierungs- und Verwaltungshandeln en detail jederzeit hinterfragt und öffentlich rechtfertigbar sein muss, dürfte einen wichtigen behördenerzieherischen Effekt haben. Insofern erfüllen auch Anfragen zu vermeintlichen Nischenthemen, wie eben Kofferfunden im Bürgerholz oder Impfungen von Hühnern eine wichtige Funktion in der parlamentarischen Demokratie Sachsen-Anhalts.
Kleine Anfragen bieten aber auch den einzelnen Abgeordneten Möglichkeiten zur Profilierung, u.a. da sie sich - anders als bei Anträgen oder Gesetzentwürfen - nicht mit der eigenen Fraktion abstimmen müssen. So können Abgeordnete ihnen am Herzen liegende Themen spielen und nach dem Motto “Stelle wichtige Fragen und rede darüber” auf ihren Webseiten und im Wahlkreis über ihre Frageaktivität berichten. Die kleinen Anfragen und die Antworten der Landesregierung werden vom Magdeburger Landtag für alle Interessierten öffentlich zur Verfügung gestellt.
In allen Landtagen und im Bundestag werden kleine Anfragen zunehmend häufig gestellt. Die Menge kleiner Anfragen bindet inzwischen erhebliche Ressourcen, da die Antworten auf die teils sehr detaillierten Auskunftsersuchen mit erheblichem Aufwand in der Ministerialbürokratie recherchiert werden. Beispielsweise summieren sich die sechs Fragen eines MdL der AfD zu “Illegalen Schmierereien” und die Antwort der Landesregierung auf bemerkenswerte 2020 Seiten.
Das Wachstum kleiner Anfragen trifft auch auf den sachsen-anhaltinischen Landtag zu. Im Vergleich zur 6. Wahlperiode hat sich die Anzahl kleiner Anfragen in der 7. Wahlperiode mehr als verdoppelt (gezählt wurden nur die bereits beantworteten Anfragen). Allerdings gab es auch bereits in der dritten Wahlperiode eine Spitze, was insbesondere mit der parlamentarischen Präsenz der DVU zusammenhing. In der 7. Wahlperiode kamen die meisten Anfragen von den Oppositionsfraktionen der AfD und der Linken. Durchschnittlich hat ein MdL der Linken 94 kleine Anfragen gestellt, ein MdL der AfD 82.
Es ist üblich, dass kleine Anfragen vorwiegend von der Opposition gestellt werden. Die Abgeordneten der Regierung haben meist direkte Kanäle, um in den Ministerien Erkundigungen einzuholen. Sie haben auch eher ein Interesse an einer geräuscharmen Kontrolle und kontrollieren die Regierung quasi auf informelleren Wegen. Vor diesem Hintergrund ist die relativ häufige Nutzung kleiner Anfragen durch Abgeordnete der Kenia-Fraktionen überraschend. Zum Vergleich: In der vergangenen Wahlperiode (es regierte eine große Koalition aus CDU und SPD) stellte die SPD nur 220 Anfragen. Im Bundestag sind kleine Anfragen durch Regierungsabgeordnete insgesamt äußerst selten.
Kenia sei keine Liebeshochzeit, sondern ein Zweckbündnis, fasste jüngst Siegfried Borgwardt (CDU) den verbreiteten Eindruck zusammen, dass sich die Kenia-Koalitionäre häufig gegenseitig und öffentlich piesackten. Auch kleine Anfragen scheinen dazu ein beliebtes Mittel zu sein, wie ein Blick auf den Fokus der Anfragen der Abgeordenten einzelner Regierungsfraktionen zeigt. In der Abbildung zeigen die Länge der Balken an, auf welche Geschäftsbereiche sich die Abgeordneten mit ihren kleinen Anfragen konzentrierten.
Tatsächlich baten die Koalitionsabgeordneten besonders gern Ministerien um Auskünfte, die von einem Koalitionspartner geleitet werden. Die CDU-geführten Ministerien, Inneres und Sport (vormals Holger Stahlknecht), Bildung (Marco Tullner) sowie Landesentwicklung und Verkehr (Thomas Webel) standen dabei besonders im Fokus von Grünen und SPD. Die Ministerialbeamten von SPD-Ministerin Petra Grimme Benne (Soziales) und vor allem von Claudia Dalbert, der grünen Chefin des Umweltministeriums, durften sich an der deutlich überprortionalen Aufmerksamkeit der Koalitionskollegen von der CDU erfreuen. Bei den CDU-Anfragen an das Dalbert-Ministerium spielte wiederum der Wolf eine herausragende Rolle - allein 12 der insgesamt 72 Auskunftsersuchen waren ihm (meist von Detlef Gürth) gewidmet. Der von der Union geäußerte Vorwurf, die Grünen folgten einer “urbanen Wolfsromantik”, war ein Punkt auf der langen Liste inhaltlicher Animositäten zwischen CDU und Grünen. Das Interesse an geräuscharmer Zusammenarbeit schien also auch mit Blick auf die Frageaktivität der Kenia-Koalition eher gering gewesen zu sein.
Allerdings sollte nicht jede Anfrage an ein Ministerium des Koalitionspartner als Ausdruck von Mißtrauen verstanden werden. Beispielsweise handelt es sich bei den Anfragen der Grünen an das Innenministerium zu politischen Straftaten um abgestimmte statistische Erhebungen. Prinzipiell könnte das Muster auch positiver interpretiert werden: Kleine Anfragen dienen Koalitionspartnern in heterogenen Bündnissen (wie der Kenia-Koalition) dazu, das eigene Profil unterscheidbar zu halten.
Die Frageaktivität verteilt sich ungleichmäßig über die Parlamentarier. Die Gestamtlänge der Balken in der Abbildung zeigt die Summe der kleinen Anfragen, die ein MdL (meist allein, manchmal mit weiteren MdLs) gestellt hat. Die unterschiedlichen Farbsegmente geben Aufschluß über die Anteile der jeweiligen Politikbereiche in der Frageaktivität. Henriette Quade (Linke) ist mit Abstand die eifrigste Fragenstellerin. Sie hat, oft gemeinsam mit Sebastian Striegel (Grüne), besonders viele Erkundigungen zum Problemfeld politischer Straftaten eingeholt (siehe z. B.). In den Anteilen spiegeln sich auch die jeweiligen Ausschussmitgliedschaften der MdL wieder: sie stellen die meisten Fragen in den Politikbereichen ihres Ausschusses, also dort, wo sie sich besonders gut auskennen: Als Landwirt und Mitglied des Agrarausschusses stellt Hannes Loth (AfD) beispielsweise besonders viele Fragen an das Landwirtschaftsministerium. Rüdiger Erben (SPD) befragt als Innenpolitiker häufig das Innenministerium und Kristin Heiß (Linke) als Finanzexpertin häufig das Finanzministerium.
Die unterschiedlichen Häufigkeiten sollten nicht als “Fleißindikator” fehlinterpretiert werden. Die Häufigkeit kleiner Anfragen hängt insbesondere mit den Arbeitsschwerpunkten der Abgeordenten und der aktuellen Problemlage im Land zusammen.
Die Perspektive auf das für eine Anfrage zuständige Ministerium gibt nur einen oberflächlichen Eindruck von den Themen kleiner Anfragen. Die Landtagsverwaltung ordnet die Anfragen in weitere Unterkategorien. Politische Straftaten liegen dabei mit 214 Einträgen einsam an der Spitze, gefolgt von Windenergieanlagen mit 61 Anfragen. Kategorisiert man mit Hilfe von Schlüsselbegriffen die einzelnen Anfragen, ergibt sich ein noch klareres Bild über die thematischen Profile der einzelnen Abgeordneten und Fraktionen. Beim Thema Migration ist die AfD besonders fragefreudig (124 Anfragen, zum Vergleich: die Linke stellt dazu 62 Anfragen).
Die höhere Kunst kleiner Anfragen besteht darin, vor dem Fragezeichen auch wichtige Deutungen, Positionen und Wertungen zu kommunizieren. Auch hierbei hebt sich die AfD deutlich von den anderen Fraktionen ab. Sie rahmt ihre Anfragen zu Migration und Integration konsequent negativ und interessiert sich besonders für mögliche Probleme von Migration. Häufig lässt sie sich aktuelle Flüchtlingszahlen und aufgeschlüsselte Kriminalitätsstatistiken vorlegen und interessiert sich für die diesbezüglichen finanziellen Aufwände, gern auch mit Detailinteresse an den Reinigungskosten in Flüchtlingsunterkünften. Wenn man nach Coronainzidenzen unter Migrantinnen und Migranten fragen kann, tritt auch die von der AfD häufig vermutete vermeintliche Äquivalenz von Corona und Influenza in den Hintergrund. Diese Auskunftsbegehren sind sicher grundsätzlich legitim und wohl auch das, was ihre Wähler*innen von ihr erwarten. Allerdings ist der Tonfall bereits in den Überschriften oftmals bemerkenswert gefärbt, etwa wenn von “Asylanten” gesprochen wird. In den eigentlichen Frageformulierungen kann es auch sarkastisch und feindselig werden; beispielsweise wenn Migranten als “Invasoren” oder “Goldstücke” bezeichnet werden. Immigrationsskeptische und an sachlichen Diskursen interessierte Bürger dürfen daher durchaus skeptisch fragen, ob ihre Positionen in Form und Inhalt am besten von der AfD vertreten werden.