Nie war der Stimmzettel länger auf dem die Frankfurterinnen und Frankfurter ihren künftigen Oberbürgermeister auswählen. Zu den vielfältigen Positionen der 20 Bewerber bietet die Online-Wahlhilfe Voto einen Crashkurs. Ein Blick in die Antworten der Bewerber zeigt: von Einheitsbrei kann keine Rede sein, sie unterscheiden sich teils deutlich bei Verkehrswende, öffentlicher Sicherheit, Klimapolitik oder Diversität. Schnüren die Kandidierenden der großen Parteien zu diesen Themen meist gewohnte Politikpakete, propagieren die parteilosen Kandidierenden auch ungewöhnliche Kombinationen. Bei allen Unterschieden sind sich die Kandidierenden innerhalb ihres politische Lagers recht nah, so dass es am Ende eben auf Inhalte und Personen ankommen wird.

Welche politischen Angebote stecken hinter den 20 Kandidierenden, aus denen die Frankfurterinnen und Frankfurter am 5. und 19. März ihren neuen Oberbürgermeister auswählen? Voto gibt darauf Antworten. Wie der bekannte Wahl-O-Mat ist Voto eine Online-Wahlhilfe, mit der jeder Bürger seine Meinung mit den Kandidaten vergleichen kann. Dazu greift die Wahlhilfe in 32 Thesen verschiedene allgemeine und konkrete Themen der Frankfurter Stadtpolitik auf, etwa zur Verkehrswende, zu Recht & Sicherheit, zu Einwanderung oder sozialen Fragen. Freilich vereinfachen die Thesen komplizierte Sachverhalte und vermitteln nur einen groben vergleichenden Eindruck. Mehr als einen Crashkurs über das politische Angebot zur OB-Wahl kann und will Voto nicht bieten. Damit sollen vor allem Vielbeschäftigte und Politikferne für ein paar Minuten in die Themen ihrer Stadtdemokratie hineingezogen werden. Ein ausführlicheres Studium von Wahlprogrammen, Plakaten und Hintergründen darf gern folgen.

Nicht nur personell, sondern auch inhaltlich eine große Auswahl

Ein Schlaglicht auf einige ausgewählte Thesen zur Stadtpolitik zeigen, dass die Frankfurterinnen und Frankfurter nicht nur personell eine große Auswahl haben. Hinter den 20 Bewerberinnen und Bewerbern steckt auch ein inhaltlich diverses Politik-Angebot. Da der nächste OB höchstwahrscheinlich aus den Reihen der großen Parteien kommen wird (bei der letzten OB-Wahl kreuzten 90 Prozent einen Parteibewerber an), blicken wir zunächst auf Uwe Becker (CDU), Mike Josef (SPD), Andreas Lobenstein (AfD), Daniela Mehler-Würzbach (DIE LINKE), Yanki Pürsün (FDP) und Manuela Rottmann (Grüne).

In Großstädten gehört der Verkehr inzwischen zu den umstrittensten Themen. Die Verkehrswende (mehr Tempo 30- und mehr autofreie Zonen) trennt insbesondere Pürsün und Lobenstein auf der einen sowie Rottmann, M. Josef und D. M.-Würzbach. Das Thema Wohnen und Mieten brennt den Frankfurtern seit Beginn des des Ukrainekrieges noch stärker unter den Nägeln. Außer Lobenstein sehen die Kandidierenden der großen Parteien ein höheres Angebot an preisgebundenen Wohnungen als ein mögliches Instrument. Eine jährliche Deckelung des Mietpreiseanstiegs bei 1% können sich nur die Bewerber des linken Lagers vorstellen. Auf die Frage nach einer Senkung des Wahlalters hören die Frankfurter ihnen aus der Bundespolitik bekannte Töne: Die OB-Bewerber aus den Ampelparteien bejahen ein Wahlrecht für die (ihnen auch tendenziell stärker zuneigende) Jugend, was vom Unionsbewerber abgelehnt wird. Politik kann selbst die Typographie in ihr Kräftefeld ziehen, wie die zahlreichen Bürger*innen zeigen, die sich leidenschaftlich über fehlende oder vorhandene Gendersternchen in der Sprache ärgern. Auch die Kandidatinnen und Kandidaten sind darüber uneins. Rottmann, Josef und M.-Würzbach befürworten entsprechende Vorgaben für amtliche Dokumente, Pürsün, Becker und Lobenstein lehnen dies ab. Die öffentliche Sicherheit beschäftigt die Frankfurter vor allem, wenn Sie an ihr Bahnhofsviertel denken. Hier wünschen sich die Kandidierenden von AfD, FDP, CDU, SPD und Grünen in seltenster Einigkeit eine Waffenverbotszone. Der deutliche Widerspruch der Linken überrascht. Ein Blick in ihre Begründung zeigt, dass hinter einzelnen politischen Positionen komplexere Annahmen über die Welt stecken und Politik auch ein Streit über Ziele und Mittel ist.

Der Bahnbabo und Co bereichern das politische Angebot

Besonders viele Parteilose beteiligen sich in diesem Jahr am OB-Wahlkampf, vom Chef der Mainfähre, Sven Junghans, bis zum als Bahnbabo bekannten Straßenbahnfahrer Peter Wirth. Sie machen teils durch besondere Positionen oder einen besonderen Politikstil auf sich aufmerksam. Auch wenn sie am Ende gegen die Bewerber der großen Parteien keine Stichwahl sehen werden, gelingt es ihnen vermutlich, breitere Teile der Frankfurter Bürgerschaft für die Wahlen und bestimmte Themen zu interessieren.

Die großen politischen Linien im Bewerberfeld

Politik besteht für die meisten Bürgerinnen und Bürger nicht darin, sich tief in verschiedene Themen hineinzudenken, sondern allgemeinere Positionen zu beziehen. Möchte man mehr Umverteilung, weniger Verkehrswende, mehr öffentliche Sicherheit auch wenn dazu Bürgerrechte eingeschränkt werden müssen? Parteien helfen den Bürgern dabei, sich mit diesen allgemeinen Einstellungen politisch zu beteiligen. Parteien bündeln Positionen zu zahlreichen Einzelthemen in übersichtliche Pakete. Sie vereinfachen auch den politischen Raum, da diese Positionen zusammenhängen. Beispielsweise schnüren die Grünen Verkehrswende, Diversität und Klimapolitik zu einem grünen Politikpaket. Ganz anders, aber eben auch zusammenhängend, beantwortet die FDP diese Fragen. Nur zu wissen, ob man mehr grüne, gelbe, rote oder schwarze (usw.) bzw. linke oder rechte Politik haben möchte, ist daher schon hinreichend, um über seine Wählerstimme verschiedene Politikbereiche zu beeinflussen.

Die Abbildung zeigt, wie sich diese politischen Farben bei der OB-Wahl reihen, wenn man alle Themen auf eine Links-Rechts-Achse reduziert. Im linken Spektrum liegen D. M.-Würzbach (DIE LINKE), M. Rottmann (Grüne) und M. Josef (SPD), es folgen U. Becker (CDU) und Y. Pürsün (FDP) als bürgerliche-konservative Kräfte. A. Lobenstein (AfD) beschließt das Spektrum auf der rechten Seite. Damit zeigt sich auch - wenig überraschend - dass die Parteibewerber aus den jeweiligen Lagern um ähnliche Wähler konkurrieren.

Eine genauere statistische Analyse zeigt, dass sich der Wettbewerb zwischen den Parteibewerbern weitgehend auf einer Links-Rechts-Dimension abspielt. Ihre Positionen hängen über verschiedene Themen sehr stark zusammen, da z.B. Befürworter der Verkehrswende auch für strengere Klimapolitik und skeptischer gegenüber der Polizei eingestellt sind (und umgekehrt). Diese Vereinfachung bietet Orientierung. Sie kann aber auch ein Manko sein: Wähler, die z.B. eine strengere Klimapolitik möchten, aber mehr Law&Order finden kein passendes Paket. Tatsächlich bieten die weiteren, teils parteilosen Bewerber solche neuen Kombinationen an. Sie sortieren sich auch über das gesamte Spektrum, der Bahnbabo z. B. auf der linken und Mathias Pfeiffer (BFF) auf der rechten Seite.


Autoren: Andreas Küpfer, M.Sc. & Prof. Dr. Christian Stecker TU Darmstadt, Institut für Politikwissenschaft