Deutlich gesunkene Wahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung ist bei Stichwahlen fast immer niedriger als bei Hauptwahlen (also dem ersten Wahlgang). So war es jüngst in Frankfurt (und üblicherweise in allen hessischen Kommunen) und so ist es diesmal auch in Darmstadt (allerdings weniger stark als 2011).

Hanno Benz ist vor allem unter den Präsenzwählern vorn

Die Innenstadt ist grün, die Stadtteile rot (Präsenzwahl)

Die Karte stellt die Ergebnisse auf Ebene der Wahllokale dar (weiter Infos, wenn Sie mit der Maus darüberfahren und ggf. heranzoomen). Berücksichtigt sind nur die 99 Stimmbezirke, nicht die Briefwahlbezirke, da diese auf Stadtteilebene aggregieren und daher keine kleinräumliche Analyse ermöglichen (Besser wäre eine Analyse der Wahlbezirke, dazu liegen aber keine funktionierenden shapefiles vor). Ist der Punkt rot, hat in diesem Wahllokal H. Benz (SPD) gewonnen. Ist er grün, hat die Wählerschaft in diesem Wahllokal mehrheitlich für M. Kolmer (Grüne) gestimmt. Die Größe des Punktes repräsentiert den Vorsprung des jeweils Erstplatzierten. Berücksichtigt werden muss, dass sich die Zahl der Wahlberechtigten teils deutlich zwischen den Wahllokalen unterscheidet.

Benz zieht Stimmen vor allem in Wixhausen, Arheiligen und Darmstadt-West

Eine andere Perspektive auf die Ergebnis in den Wahlbezirken wirft das Balkendiagramm. Jeder Balken zeigt, wo ein Bewerber gegenüber dem Mitbewerber im Vergleich zur Hauptwahl in absoluten Stimmen hinzugewonnen hat (genauere Infos wieder durch zoomen und Darüberfahren mit der Maus). Vor allem in Wixhausen, Arheiligen und Darmstadt-West aber auch der Eberstadt konnte Benz das Rennen um zusätzliche Stimmen für sich entscheiden.

Anmerkung: weitere Infos durch zoomen und mouseover.

Wählerwanderung: Wandreys Anhänger scheinen eher zu Benz gewandert zu sein - das ist aber statistisch sehr unsicher

Wählerinnen und Wähler lassen sich nur sehr schwer beim Wandern beobachten. Da wir meist keine individuellen Daten haben (Wie hat Herr Schmidt heute und vor zwei Wochen gewählt?), behelfen wir uns mit Schätzungen. Wir nutzen z. B. Unterschiede in den Wahlergebnissen zwischen zwei Wahlen in einem Gebiet (z. B. Wahlbezirk), um dabei Annahmen über Wanderungen zu treffen. Je größer die Fallzahl der geographischen Einheiten und je besser die Methode, desto zuverlässiger (siehe z. B. die Analyse des Frankfurter Wahlamtes). Allgemein und besonders in Darmstadt mit nur 99 Stimmbezirken sind diese Analysen aber mit großer Unsicherheit behaftet und entsprechend mit Vorsicht zu geniessen. Mit diesem Beipackzettel schauen wir auf die Veränderungen der Stimmenanteile in den Darmstädter Stimmbezirken. Zunächst blicken wir auf einfache Streudiagramme, auf der horizontalen x-Achse sind dabei jeweils die Prozente des entsprechenden Bewerbers in der Hauptwahl vor zwei Wochen abgetragen. Auf der vertikalen y-Achse findet sich der Stimmenanteil von M. Kolmer (oben) und H. Benz (unten). Die Gerade fasst die Punktwolke zusammen.

Das Streudiagramm von Paul Georg Wandrey legt nahe, dass seine Anhänger eher zu Benz wanderten. In den Wahlbezirken, wo er bei der Erstwahl stark war, schnitt Kolmer deutlich schlechter und Benz deutlich besser ab. In Wandreys bei der Erstwahl stärkstem Stimmbezirk, 00422 - Erich Kästner-Schule, gewann Benz 46 Prozent dazu (Kolmer nur 20). Wandreys auch aus Koalitionslogik getroffene Wahlempfehlung für Kolmer scheint entsprechend verpufft zu sein und es wird spannend zu beobachten sein, welche strategischen Schlüsse Wandrey aus diesem Resultat zieht. Andere Muster sind wenig überraschend, aber auch zahlenmäßig von geringerer Bedeutung. So ist Kolmer in den Wahlbezirken besonders stark, in denen bei der Erstwahl Volt, Linke und UFFBASSE gut abgeschnitten haben. Wahlbezirke mit stärkerer FDP und Freien Wählern in der Erstwahl tendierten diesmal zu Benz. Kontrolliert man aber für die Stimmenanteile aller Parteien, ergeben sich keine signifikanten Ergebnisse, ausser das Volt-Wähler eher zu Kolmer wanderten.

Won’t Vote, if voting is without you?

Die Wahlbeteiligung bei Stichwahlen ist auch deswegen niedriger, weil für viele Bürgerinnen und Bürger der Favorit schon rausgeflogen ist und nicht wieder zur Wahl steht. Zur Auswahl stehen nun nur noch Bewerber, die nicht ganz oben auf der persönlichen Favoritenliste sind. In Darmstadt betrübt dies mehr als die Hälfte der Teilnehmer der Hauptwahl vor zwei Wochen. Große Unterschiede zwischen Stichwahlkandidierenden können dennoch erheblich mobilisieren. Die Jung gebliebenen erinneren sich an die französische Präsidentschaftswahl von 2002, bei der die Stichwahl zwischen Chirac und Le Pen auch überzeugte Linke an die Urne trieb. In Darmstadt taugt der Unterschied zwischen einem Grünen und einem SPDler weniger zur Lagermobilisierung. Ob die Anhänger der ausgeschiedenen Bewerber eher zu Hause blieben, erkunden die folgenden Abbildungen.

Anmerkung: Anmerkung: Daten für 99 Stimmbezirke. Wahlbeteiligung wurde berechnet für alle Präsenzwahlbezirke unter der Annahme dass alle Personen, die Briefwahl beantragt hatten, diese auch durchgeführt haben.

Das Streudiagramm von Lau (UFFBASSE) weist auf einen weiteren möglicherweise wichtigen Faktor hin. Ihre Wähler gingen vermutlich besonders häufig in die Abstinenz. Wo sie bei der Erstwahl besonders gute Ergebnisse einfuhr, war die Wahlbeteiligung diesmal besonders niedrig. Im Wahlbezirk 00190 - Schillerschule erzielte Lau bei der Erstwahl fast 35 Prozent. Hier war zwar Kolmer stärker als Benz(58 zu 42), die Wahlbeteiligung rutschte aber um fast 16 Prozent ab. Aber auch hier ergeben sich keine signifikanten Ergebnisse, wenn man für die Stimmenanteile aller Parteien kontrolliert.

Das Wahlsystem ist unpassend und es gibt bessere Möglichkeiten, Bürgermeister zu wählen

Wahlsysteme sollten verschieden Dinge erreichen. Sie sollten den Wählerinnen und Wählern ermöglichen, ihre echten Präferenzen auszudrücken und sie nicht etwa zwingen, strategisch zu wählen. Außerdem sollten Wahlsysteme möglichst den- oder diejenige entdecken, die im paarweisen Vergleich gegen alle anderen gewinnen würden (der sogenannte Condorcet-Gewinner). Praktisch wäre es auch, wenn Wahlsysteme die Wähler und die Verwaltung nicht allzu viel Zeit kosten. In allen drei Punkten ist das praktizierte Wahlsystem nicht optimal. Es setzt Anreize zum strategischen Wählen, wenn man seine Stimme nicht verschwenen möchte. Beispielsweise müssen Anhänger der LINKEN oder Anhänger der FDP überlegen, ob sie nicht eher einen anderen Kandidaten aus ihrem “Lager” wählen, da diesem “kleineren Übel” sonst Stimmen für die Stichwahlteilnahme fehlen würden. Auch kann das Wahlsystem daran scheitern, den Condorcet-Gewinner zu finden, insbesondere, wenn die Gunst der Wähler gleichmäßig über viele Kandidierende verstreut ist. Schließlich befragt das aktuelle Wahlsystem die Wähler oft ein weiteres Mal, wenn bei der Hauptwahl kein Kandidat über 50 Prozent der Stimmen erringt. All das ist aber unnötigt und wird von einem anderen Wahlsystem besser gelöst. In Rangordnungswahlverfahren können die Wähler eine beliebige Anzahl der Kandidierenden in eine Reihenfolge bringen. Der hypothetische FDP-Anhänger könnte dann z. B. auf 1 Hesse-Hanbuch setzen und auf 2 Paul Georg Wandrey. Bei mehreren Auszählungsrunden werden die jeweils letzten Kandidaten gestrichen und ihre verbliebenen Präferenzen umverteilt. Dabei gehen keine Stimmen verloren. Ist Hesse-Hanbuch bei einer Auszählungsrunde die Letzte, fällt die Zweitpräferenz des entsprechenden Wählers and Paul Georg Wandrey, wird als weiter berücksichtigt. Außerdem muss man die Wähler nur einmal befragen, um den Gewinner zu finden. Es werden so lange Auszählungsrunden durchgeführt, bis ein Kandidat über 50% der Stimmen erhält. Solche Wahlverfahren sind für eine zersplitterte Bewerberlandschaft besser geeignet. Aber da müsste sich der Gesetzgeber ja mit Politikwissenschaft beschäftigen, wenn er Wahlsysteme gestaltet…

Datengrundlage

Die Daten wurden über den Votemanager heruntergeladen und mit weiteren Daten verbunden.