Was Sie schon immer auch mal über Wahlen in Halle (Saale) wissen wollten

Eine kurze Analyse in Abbildungen

Author

Christian Stecker (TU Darmstadt)

Published

April 26, 2024

Hinweis

Die Abbildungen sind meist interaktiv und geben beim Anklicken/Antippen weitere Informationen.

Wahlbeteiligung - starke Unterschiede zwischen den Stadtvierteln in Halle

Die Wahlbeteiligung in Halle varriert erheblich über Zeit und nach Art der Wahl. Typischerweise empfinden die Menschen Bundes- und Landtagswahlen als besonders wichtig und beteiligen sich häufiger. Kommunalwahlen, die seit 1994 zeitgleich mit Europawahlen durchgeführt werden, stossen auf deutlich weniger Resonanz. Allerdings stieg hier die Wahlbeteiligung seit dem Tiefpunkt 2009 (37,5%) wieder auf zuletzt 56% (2019). Oberbürgermeisterwahlen sind das Beteiligungsschlusslicht in Halle (und anderswo), wobei Stichwahlen nochmals weniger Menschen an die Urne locken.

Die durchschnittliche Wahlbeteiligung verdeckt allerdings, dass die Wahlbereitschaft erheblich nach Stadtteilen variiert. Bei den Kommunalwahlen 2019 lag sie beispielsweise in Heide-Süd bei 73%, in der Silberhöhe fast 50 Prozentpunkte darunter bei 26% (ohne Briefwahl). Diese krassen Unterschiede sind problematischen Entwicklungen geschuldet. In vielen Städten hat die räumliche Trennung der Bewohner entlang von Bildung und Einkommen stark zugenommen. Diese Segregation ist vor allem in Halle stark ausgeprägt und manifestiert sich insbesondere in den Großwohnsiedlungen Neustadt, Silberhöhe oder Heide-Nord. Die zunehmende Segregation lässt sich an der Wahlbeteiligung in den Stadtvierteln ablesen. In der Abbildung ist jedes Stadtviertel durch einen Punkt vertreten, der die dortige Wahlbeteiligung (bis btw2021 ohne Briefwahl) durch einen Punkt anzeigt. Zunächst zeigt sich, dass die Punktwolken mal höher und mal niedriger angesiedelt sind, was der unterschiedlichen Wahlneigung bei unterschiedlichen Wahltypen geschuldet ist. Zugleich zeigen sich über alle Wahlen hinweg klare Spitzenreiter und Außenseiter. Sozial prosperierende Viertel wie Heide-Süd, Kröllwitz oder das Paulusviertel weisen regelmäßig die höchste Wahlbeteiligung auf, Heide-Nord, Neustadt oder Silberhöhe dagegen die niedrigste.

Die Box hinter den Punkten (ein Boxplot) gibt einen zusammenfassenden Eindruck, wie stark sich die Wahlbeteiligung über die Stadtviertel hinweg unterscheidet. Seit 1994 ist diese Box stetig gewachsen. 1994 betrug die Beteiligungsdifferenz zwischen Heide-Süd und Silberhöhe bereits 22%, 2019 waren es fast 50%.

Anmerkung: Die Wahlbeteiligung pro Stadtviertel berücksichtigt vor der Bundestagswahl 2021 nicht die Briefwähler.

Die wachsende Ungleichheit der Stadtviertel in der Wahlbeteiligung kann anhand der (um die Bevölkerungsgröße der Stadtviertel) gewichteten Standardabweichung auf den Punkt gebracht werden. Vereinfacht kann man sagen, dass die Standardabweichung angibt, wie die Wahlbeteiligung in den einzelnen Vierteln um den Mittelwert schwankt. Je mehr bestimmte Stadtteile nach oben (z. B. Heide-Süd) oder nach unten (z. B. Heide-Nord) ausreißen, desto größer ist die Standardabweichung. Die Abbildung zeigt, dass die Unterschiede in der Wahlbeteiligung massiv zugenommen haben und sich seit 1994 praktisch vervierfacht haben.

Die Abbildung fasst die durchschnittliche Wahlbeteiligung in einzelnen Stadtvierteln in allen Wahlen seit 1994 zusammen.

Die Karte stellt die Beteiligungsunterschiede räumlich dar.

Räumliche Diskrepanzen in der Wahlbeteiligung hängen sehr stark mit Indikatoren sozialer Benachteiligung zusammen (siehe z. B. zu Volksabstimmungen). Dies zeigt sich auch für typische Indikatoren sozialer Benachteiligung, die in der Abbildung für die Kommunalwahlen 2019 zusammengestellt wurden. Jeder Punkt repräsentiert auf der horizontalen x-Achse einen Sozialindikator für einen Stadtteil und auf der vertikalen y-Achse die dortige Wahlbeteiligung. Die grüne Linie fasst die Punktwolke zusammen und zeigt, dass die Wahlbeteiligung nach unten geht, wenn Ausländeranteil, Arbeitslosigkeit und Grundsicherungsquote wachsen.


Wer kandidiert in Halle (zu Kommunalwahlen)?

Kommunalpolitik wird zum grossen Teil von ehrenamtlich tätigen Bürgerinnen und Bürgern bewältigt. Der erhebliche Zeitaufwand und zuletzt die Zunahme von Beleidigungen und Bedrohungen machen ein kommunales Mandat wenig attraktiv. Zugleich ist es wichtig, dass Kommunalpolitiker möglichst die gesamte soziale und demographische Vielfalt der Stadt repräsentieren und in den Stadtrat einbringen. Um die Interessen einer bestimmten Gruppe zu verstehen und gut in der Politik vertreten zu können, so zeigt einschlägige Forschung, hilft es, wenn man Mitglied dieser Gruppe ist. Geschlecht ist eine besonders prominente Kategorie im Zusammenhang mit der sogenannten deskriptiven Repräsenation (also der Frage, inwiefern unsere Repräsentanten uns anhand verschiedener Merkmale wie Geschlecht oder Beruf ähneln). Frauen sind auf allen politischen Ebenen schwächer vertreten als Männer. Das Magazin Katapult rechnete 2020 aus, dass es mehr Thomasse unter den Bürgermeistern gibt als Frauen insgesamt in diesen Ämtern. Unter Stadtratsmitgliedern ist die Gefahr geringer Frauenrepräsentation besonders groß - schließlich handelt es sich um Ehrenämter, die Frau zusätzlich zu Beruf und Familie bewältigen muss.

Die Abbildung fasst die Frauenanteile unter den Kandidierenden zusammen. Die Linien und Punkte in geschlechterstereotyper Färbung zeigen die durchschnittlichen Frauenanteile unter allen Kandidierenden. Für alle aktuell im Stadtrat vertretenen Parteien wurden (auch rückblickend) die jeweiligen Frauenanteile durch Punkte ausgewiesen. In den letzten 20 Jahren hat sich offensichtlich wenig verändert und der Frauenanteil stagniert bei etwa 30%. Gleichzeitig zeigt sich eine erhebliche Differenz zwischen den Parteien. Besonders wenige Frauen finden sich auf den Listen von AfD und FDP, besonders viele bei Grünen, Mitbürger und Freie Wähler. Einige interessante Änderungen über Zeit fallen ins Auge. Beispielsweise hebt die CDU ihren Frauenanteil von 10 Prozent 2019 auf 27 Prozent in 2024.

Neben dem Geschlecht ist Alter eine Repräsentationskategorie, die vor allem mit Blick auf zivilisatorischen Herausforderungen wie Klimawandel aber auch Kulturpolitik (Stichwort Klubszene) relevant ist. Die folgende Abbildung zeigt daher das Durchschnittsalter aller Kandidierenden zu Kommunalwahlen und einzelne Werte für die aktuell im Stadtrat vertretenen Parteien. Das Durchschnittsalter unter den Kandidierenden liegt in den Mittvierzigern. Auch hier gibt es über Zeit keine größeren Veränderungen, allerdings große Variation über die Parteien hinweg. Die Freien Wähler fallen mit einem jungen Kandidatenangebot auf. Bei den Mitbürgern fällt eine fast lineare Durchschnittsalterung auf. Tatsächlich liegt dies daran, dass viele MitBürger aus der Gründerzeit noch dabei sind. Ein MitBürger kandidiert zur Kommunalwahl im Juni 2024 (seit 2004, davor sind keine Daten verfügbar) statistisch zum 2.7 Mal, gefolgt von Linken (2.5) und CDU (2.3).

In der folgenden Abbildung werden Alter und Geschlecht zusammengeführt und es ergeben sich die aus der Demographie bekannten Alterspyramiden (bzw. Pilze). Hier fällt erneut der Männerüberhang auf, allerdings mit interessanten Abstufungen. Vor allem in den Rush-hour Lebensjahren sind Frauen gegenüber Männern deutlich unterrepräsentiert. Für ein kommunales Mandat mit späten Ausschuss- und Stadtratssitzungen findet sich vor allem für Frauen mit kleinen Kindern kaum ein Platz im Terminkalender, da Sorgearbeit, wie einschlägige Forschung zeigt, nach wie vor überwiegend von Frauen besorgt wird.

Angesichts der zunehmenden Armutssegregation in Halle erscheint vor allem eine gleichmäßige Repräsentation verschiedener Stadtviertel wichtig. Woher kommen die Kandidierenden? Die Abbildungen beantwortet dies für die Stadtratswahlen von 2024 und 2014. Die Daten aus 2024 entstammen den Angaben aus dem Amtsblatt vom 26.04.2024, wo hinter den einzelnen Kandidierenden das Stadtviertel in dem sie wohnen, angeben ist. 2014 wurden die Daten bereits ausgewertet zuletzt von der Stadt Halle veröffentlicht wurden. Die Daten sind etwas mit Vorsicht zu genießen, da die Nennungen und Zuordnungen zu statistischen Stadtvierteln zu denen auch Angaben über die Zahl der Wahlberechtigten vorliegen nicht immer vollends akkurat sind. Grobe Trends dürfen sich aber allemal ableiten lassen.
Auf der linken Seite wird ausgegeben, wie viele Kandidierende pro 1000 Wahlberechtigte aus einem Stadtteil kommen, auf der rechten Seite, wieviel Prozent aller Kandidierenden aus einem Stadtteil kommen. Es zeigt sich, dass sich besonders Menschen aus Altstadt, Paulusviertel und Kröllwitz für eine Kandidatur bereit erklären. Statistisch kommen auf 1000 Wahlberechtigte in der Altstadt 4,6 Kandidierende aus der Altstadt. Aus den prekären Stadtvierteln Neustadt oder Silberhöhe finden sich extrem wenige Kandidierende, vor allem mit Blick auf die große Zahl der Wahlberechtigten in den Großwohnsiedlungen.

Wahlergebnisse - räumliche Polarisierung in Halle

Halle ist nicht nur bei der Wahlbeteiligung konstrastreich. Auch die Parteipräferenzen variieren deutlich über die Stadtviertel hinweg. Besonders polarisiert sind die Stadtviertel mit Blick auf AfD und Grüne. Die Abbildung zeigt die Unterstützung der einzelnen Parteien und Listen in den verschiedenen Stadtvierteln. Auffällig ist, dass besonders die Stimmenanteile der Grünen und der AfD stark streuen. Dass bedeutet, dass besonders Grüne und AfD in einigen Vierteln sehr populär, in anderen aber sehr unbeliebt sind. Wenig überraschend sind die Grünen besonders dort stark, wo die AfD unpopulär ist und umgekehrt. Beispielsweise sammelten die Grünen im Giebichenstein über 30% der Stimmen, die AfD jedoch nur 6%. In der südlichen Neustadt erlangte die AfD dagegen über 26%, die Grünen nur 7%. Offenkundig bilden Grüne und AfD die Pole einer innerstädtischen Konfliktdimension.

Die folgende Abbildungen stellt systematischer dar, wie die Stimmenergebnisse verschiedener Parteien in den Stadtvierteln miteinander zusammenhängen. Hängen die Stimmenanteile positiv zusammen nähert sich der Wert in der gemeinsamen Kachel der Zahl 1 und die Kachel wird röter, im umgekehrten Fall nähert sie sich -1 und die Kachel wird blauer. Beispielsweise hängt der Stimmenanteil von CDU und FDP positiv zusammen, d.h. in Stadtvierteln mit starker Union ist auch die FDP stark (die Korrelation beträgt 0,57). Auch Anhänger von Grünen und MitBürgern wohnen offensichtlich in gemeinsamer Nachbarschaft. Den stärksten und negativen Wert weisen Grüne und AfD auf.


Datenquellen: Die Daten wurden aus verschiedenen Quellen zusammengetragen und analysierbar gemacht (Zumeist mussten sperrige pdf-Tabellen handhabbar gemacht werden - Herr, wirf systematisch strukturierte maschinenlesbare Wahldaten herunter!). Die Datenquellen sind u.a.:
- Sonderveröffentlichungen der Stadt Halle (Saale) zu unterschiedlichen Wahlen (abrufbar in [HAL-SIS])(https://halsis.halle.de:8443/halsis/#app/startpage//)
- das open data portal der Stadt Halle